Folk im Osten – vor 40 Jahren

1984 wurde in Westdeutschland der Verein PROFOLK gegründet. Die große Zeit der Folkmusik sei da schon vorbei vorbeigewesen, schreibt Christian Rath im folker (Heft 3/24). Und wie sah es damals diesseits der Mauer aus? Hier gab es 1984 unter völlig anderen Bedingungen eine höchst lebendige Folkszene. DDR-typisch: Folktanz-Boom, Instrumenten-Selbstbau und republikweite Werkstätten.

Session bei der 4. Zentralen DDR-Folkwerkstatt in Leipzig (Foto: Sammlung Wolfgang Leyn)
Nächtliche Session bei der 4. Zentralen DDR-Folkwerkstatt im Leipziger Klubhaus "Freundschaft", Bildmitte: Jens-Paul Wollenberg, dazu Musiker von Notentritt (Halle) und JAMS (Berlin), im Anzug: der Musikethnologe Axel Hesse (Foto: Sammlung Wolfgang Leyn)

Lebendige, gut vernetzte Folkszene

Aus dem knappen Dutzend Gruppen der Anfangszeit sind um die 100 geworden. 14 kommen 1984 neu hinzu, in den Hochburgen Leipzig und Berlin, in Rostock, Magdeburg und Karl-Marx-Stadt, nun aber auch in kleineren Orten. Wichtigste Auftrittsorte sind Jugend- und Studentenklubs (in Leipzig gibt’s davon über 20) bzw. die kommunalen oder an Betriebe angegliederten Klubhäuser.

Garantierte Gagen, Liederhefte statt LPs
Die Bands haben Anspruch auf eine feste Gage. 16 Bands mit „Profi-Pappe“ werden aufgrund ihrer Musikhochschul-Ausbildung als Berufskünstler bezahlt. Folkländer aus Leipzig, Liedehrlich aus Gera, das Duo Piatkowski & Rieck aus Rostock und Wacholder aus Cottbus, vier renommierte Bands der ersten Generation, konnten beim (Monopol-)Label Amiga eine LP einzuspielen. Bei anderen Bands ersetzen selbstgestaltete und -vertriebene Liederhefte die Platten.

Folktanz-Boom, Eigenbau-Dudelsäcke, musikalische Vielfalt
Dominierten Mitte der 70er noch Irish Folk und historische deutsche Volkslieder (gern mit versteckter Kritik an aktuellen Zuständen), so boomt jetzt der Mitmach-Volkstanz. 16 Folkbands spielen 1984 zum Tanz, ein Tanzmeister erklärt, eine Vortanzgruppe zeigt, wie's geht. Der Selbstbau von Dudelsäcken und Drehleiern hat eine neue Qualität erreicht. Das Repertoire der Bands ist vielfältiger geworden: Lieder der Handwerksgesellen, Arbeiter-Volkslieder, Lyrik-Vertonungen, Folk-Kabarett, Folktanzmusik, Satzgesang, Plattdeutsches, Folkrock, Chansonhaftes, Bordun-Musik, Bluegrass, Angejazztes, folkloristische Kammermusik.

Folk-Werkstätten als Familientreffen
Folkfestivals gibt es 1984 in Hoyerswerda, Wismar, Neubrandenburg, Halle und bei Rudolstadt. Beim „Liedersommer“, einem zweiwöchigen Open-Air-Festival in Berlin, spielen u.a. Wacholder, Skye, Arbeiterfolk und JAMS Tanzhaus. Seit 1980 treffen sich jedes Jahr Bands aus der ganzen Republik zu zentralen Folk-Werkstätten. Diese Wochenenden sind Probierstube, Familientreffen und Stimmungsbarometer der ostdeutschen Folkszene, Zugleich unterstützen sie deren gute Vernetzung.

Im Januar 1984 musizieren und debattieren in Leipzig 17 Bands aus fast allen DDR-Bezirken, junge Bands und erfahrene. Letztere zeigen zur Werkstatt Konzeptprogramme mit folkloristischen Kabarettchansons oder folkinspirierter Kammermusik. Der neugegründete Folkklub Leipzig stellt sich vor.
Vor 40 Jahren: 5. Zentrale Folk-Werkstatt in Leipzig

Im Juni 1984 kommen in einem sorbischen Dorf in der Mittellausitz 100 Musiker, Instrumentenbauer und Musikethnologen zusammen. Es gibt Konzerte, Vorträge, einen Festumzug. Zwei unterschiedliche Dudelsack-Traditionen treffen aufeinander: eine alte, ungebrochene bei den Sorben und die noch ganz junge in der DDR-Folkszene.
Vor 40 Jahren: 1. DDR-Dudelsacktreffen in Slepo/Schleife

Im Juli 1984 erleben die Dörfer des Kreises Rudolstadt ein „rollendes Folkfestival“ mit Pferdefuhrwerken. Es erwies sich später als eine Keimzelle von Deutschlands größtem Folk-, Roots- und Weltmusikfestival. Folkmusiker aus Erfurt und Leipzig, die dabei waren, erinnern sich gern an „eine Woche Party“.
Vor 40 Jahren: Folkloretour rund um Rudolstadt

Im Oktober 1984 erscheint die Nummer 1 des „Leipziger Folksblatts“ – zum zweiten Mal und leicht verändert. Der erste Versuch war im Frühjahr 1984 an der Zensur gescheitert. Jürgen B. Wolff, der damals als Autor, Redakteur und Gestalter des DDR-Szeneblatts involviert war, zu dessen Zustandekommen.
Vor 40 Jahren: Zweite Premiere fürs DDR-Szeneblatt