Wie kann man mehr gemeinschaftliches Musizieren, Tanzen, Singen auf Veranstaltungen rund um Klima und Nachhaltigkeit bringen? Praktische Antworten will das Netzwerk „Folk For Future“ geben. Gegründet wurde es von Peggy Luck, Liedkünstlerin und Mitglied der Leipziger Folkband Waldzitherpunk. Was seit dem Frühjahr 2023 passierte, steht in ihrer Kolumne.
VON PEGGY LUCK
Dauerbeschallung verhindert gemeinsamen Gesang
Schon bei den ersten Klimastreiks, die ich besuchte, stellte ich fest: Wäre ich ein Mensch aus der Umwelt- und Friedensbewegung des vergangenen Jahrhunderts, würde ich hier wohl einen Kulturschock bekommen – anstatt des Eindrucks, dass diese Bewegung etwas fortführt, das mich selbst auch angeht und für das ich gestritten habe. Die durchschnittliche Lautstärke von Reden, Musik und Rave-Wagen ist extrem hoch, weil sich die technischen Möglichkeiten seither drastisch vervielfacht haben. Heute kann jeder eine riesengroße Tonanlage besitzen oder mieten. Dadurch ist es deutlich schwieriger geworden, bei Großdemos wegen der dauerhaften Beschallung etwas gemeinsam zu singen.
Meine Überzeugung war und ist jedoch: Nur wenn wir viele Menschen in unserer Gesellschaft überzeugen können, dass die Klimakrise nicht vor allem Verzicht, Verboten und Gängelung bedeutet, dann lässt sich das Ruder noch herumreißen. Es geht darum, immer wieder zu zeigen, dass eine planeten- und menschenfreundliche Zukunft uns Werte wie Schönheit, Achtsamkeit und Gemeinschaft auf Augenhöhe zurückbringen kann, etwas, das das wir lange vermisst haben (möglicherweise ohne es zu wissen).
Wohl unter Linden … immer wieder wächst das Gras
Von September 2022 bis Juni 2024 sind inzwischen zahlreiche Aktionen unter dem Titel „Folk For Future“ gelaufen, Kooperationen und Netze gesponnen worden, von denen nur einige hier erwähnt werden sollen. Den Auftakt im September 2022, beim Klimastreik in Frankfurt (Oder) machte ich erst alleine und dann mit zwei Bandmitgliedern von Waldzitherpunk – ich sang ein umgedichtetes Lied, wurde dann gebeten, noch „Kein schöner Land“ anzuschließen (weil es in Frankfurt gerade um den Erhalt alter Linden an der Magistrale ging – wo wir uns finden wohl unter Linden zur Abendzeit) und schloss im Kanon mit allen mit „Dona Nobis Pacem“ (für den Frieden zwischen Mensch und Natur). Mit Helene Déus und Toni Linke gemeinsam stimmten wir Gundermanns „Gras“ an (für das rechtzeitige Erwachsenwerden der Menschheit – und zur Erinnerung, dass die Natur uns nicht braucht, sondern andersherum – immer wieder wächst das Gras / wild und hoch und grün). Zum Schluss spielten wir das „Bürgerlied“ von 1845, das einige ältere Menschen mitsingen konnten.
Klima-Demo, Festival, Wissenschafts-Plenum
So spross das erste zarte Pflänzchen, auf das dann eine gemeinsame Aktion auf dem Augustusplatz in Leipzig folgte, ein gemeinsames Singen beim Klimastreik im September 2023, wo wir die Omas4Future Leipzig als engagierte Mitsing-Partner:innen gewinnen konnten, dann im März 2024 das 1. Leipziger „Folk For Future“-Festival mit Auftritten von Erik Stenzel (Klimaliedermacher, Nürnberg) und Ronja Künstler (Letzte Generation, Regensburg), Repertoire-Workshop und Gästen des neugegründeten „Folk For Future Greifswald“. Als ich die Idee beim Plenum der Scientists4Future in Leipzig vorstellte, wurde unser Netzwerk als musikalische Umrahmung der „Salons der Zukunft“ in Stadtteil Anger-Crottendorf gebucht.
Protestflügel und BalFolk For Future
Die größte bisherige Aktion mit anderen Initiativen war der „Protestflügel“ zur Eröffnung des Bachfestes Leipzig. Protest gegen die fehlgeleitete Klimapolitik der Bundesregierung, insbesondere aber auch die Aufforderung an die (Hoch-)Kultur, das Thema aufzugreifen. Dazu wurde ein Konzertflügel auf einem Anhänger mit Muskelkraft durch die Stadt geschoben – vom „Jahrtausendfeld“ in Plagwitz bis zur Thomaskirche in der Innenstadt. Unterwegs spielten darauf abwechselnd Künstler:innen vom Musikhochschul-Professor Heiko Reintzsch über ein Duo der Opera-Metal-Band Molllust bis zu Singer-/Songwriterinnen. Dazwischen gab es immer wieder Einladungen zum gemeinsamen Singen.
Ein Höhepunkt der Aktion: BalFolk For Future! Als der Protestflügel auf die Sachsenbrücke im Clara-Zetkin-Park einbog, hatte sich dort schon eine kreistanzende Gemeinschaft um das unverstärkt fiedelnde Trio Sarska Fiddlers (Prag, Letzte Generation) gebildet. Die BalFolk-Musikerin Mara Menzel setzte sich anschließend an den Protestflügel und spielte das Lied „Stay Together“, zu dem die BalFolk-Menschen und die Protestflügel-Neuangekommenen den französischen Kettentanz Hanter Dro tanzten und sangen. Ein starkes Bild von Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit. Die Programmleitung der „Protestflügel“-Aktion hatte der Liedermacher und Kirchenkabarettist Wolfram II., der über das Netzwerk Folk For Future dazugekommen war.
Die Protestflügel-Aktion am 7. Juni 2024 im Zeitraffer-Video
Generationsübergreifendes Engagement
Rückblickend lässt sich nach anderthalb Jahren sagen, dass wir viele Menschen, Künstler:innen, Sing- und Tanzbegeisterte für die Idee von Folk For Future begeistern konnten. Repertoire und Netzwerk wachsen, Lieder und Tänze diffundieren in andere Regionen und Zusammenhänge, Texte werden umgedichtet und in anderem Rahmen neu erfunden.
Einer der berührendsten Momente für mich war der, als zwei der Omas4Future nach dem gemeinsamen Singen zum Klimastreik auf mich zukamen und sagten, dass sie uns gerne die ererbten Mandolinen ihrer Mütter schenken würden: „Die sind genau für Typen wie euch!“ So geht generationsübergreifendes Engagement angesichts einer Krise, die keine Generation alleine lösen können wird und die uns alle angeht.
Videos vom 1. Leipziger „Folk For Future“-Festival (08./09.03.2024, Ostpassage Theater)
Waldzitherpunk Leipzig
https://www.youtube.com/watch?v=jc6nbOE-PsE
https://www.youtube.com/watch?v=XdyYhU5c0zY
Ronja Künstler
https://www.youtube.com/watch?v=Haei459AfkA
https://www.youtube.com/watch?v=vhYq1TLdS9E
Erik Stenzel
https://www.youtube.com/watch?v=Mko7g6wIbao
Wolfram II.
https://www.youtube.com/watch?v=CwUC1bEFeM8
