„Der Nabel unserer folkloristischen Welt war Leipzig“, sagte der Berliner Folkmusiker Jo Meyer und meinte damit die frühen 80er Jahre. Wie wurde Leipzig zur „DDR-Folkhauptstadt“? Worin drückte sich diese Rolle aus? – Darüber sprachen am 2. März 2022 auf Einladung des Leipziger Geschichtsvereins der Szenechronist und Buchautor Wolfgang Leyn sowie der Musiker und Zeitzeuge Jürgen B. Wolff.
Hier finden Sie eine Zusammenfassung des Vortrags.
1976: Irish-Folk-Session mit Bands aus Leipzig, Berlin und Greifswald im Studentenklub „Grafikkeller“. Die DDR-offene Folkwerkstatt am 28./29. Oktober war die Geburtsstunde der Szene und mit ausverkauften Konzerten vor 600 Zuhörern zugleich das erste Folkfestival der Republik. Leipzig war Gastgeber für insgesamt sechs landesweite Folklore-Werkstätten. (Foto: Harald Mohr)
1977: Folkländer musiziert in der Leipziger Innenstadt. Straßenmusik war in der DDR eher unerwünscht, weil schwer zu kontrollieren. Doch zur internationalen Herbstmesse im September bekam die Band von der städtischen Kulturdirektion nicht allein eine Genehmigung, sondern sogar Gage – und einen Handwagen für die Instrumente. (Foto: Stefan Gööck)
1978: Die Leipziger Gruppe Folkländer gab (unterstützt vom Stadtkabinett für Kulturarbeit) als erste DDR-Folkband eigene Liederhefte heraus. Bands in Erfurt, Cottbus, Potsdam und Neubrandenburg taten es ihr nach. Damit konnten sie das eigene Repertoire publizieren, Platteneinspielungen beim Staats-Label Amiga blieben für die meisten Bands ein Wunschtraum. (Grafik: Jürgen B. Wolff)
1980: Folkländer beim 7-stündigen (!) Nonstop-Konzert am 12. Januar in der Alten Börse (von links: Ulrich Doberenz, Jürgen B. Wolff, Gabi Lattke, Manfred Wagenbreth, Erik Kross). Die erste zentrale DDR-Folklorewerkstatt in Leipzig wurde veranstaltet vom Stadtkabinett und dem Zentralhaus für Kulturarbeit gemeinsam mit der Gruppe Folkländer. Auf dem Programm stand u.a. Volkstanz zum Mitmachen, ein Novum für die DDR-Folkszene. (Foto: Stefan Gööck)
1980: Die Leipziger Gruppe Kreuz & Square beim Gastspiel auf der Insel Rügen während der DDR-Arbeiterfestspiele, der zentralen Leistungsschau des „Volkskunstschaffens“. Die Tanzgruppe bestand aus Freunden von Folkländer und war die erste ihrer Art in der DDR. Beim Volkstanz zum Mitmachen erklärt ein Tanzmeister Schrittfolgen und Tanzfassungen, Vortanzpaare zeigen, wie's geht, bevor dann alle gemeinsam tanzen. Links neben der Bühne Tanzmeisterin Sigrid Lembke (Römer).
(Foto: Stefan Gööck)
1981: Während der 2. zentralen Folklorewerkstatt in Leipzig erschien erstmals das „Leipziger Folksblatt“ als tägliches Informationsblatt für die Werkstattteilnehmer. Ein gleichnamiges ostdeutsches Szeneblatt kam dann 1984 heraus, danach unregelmäßig und ab 1988 viermal im Jahr. 1998 fusionierte es mit seinem West-Pendant, dem „folk-michel“ aus Bonn, zum Fachmagazin „folker“. (Bild: Sammlung Wolfgang Leyn)
1981: Probe der Hektik Drive Bigband während der 2. zentralen Folklorewerkstatt in Leipzig. 27 Musiker aus zwölf DDR-Folkbands spielten unter Leitung von „Folkmusikdirektor“ Erik Kross zum Volkstanz auf. Ein Riesen-Gaudi, zugleich Anregung für spätere musikalische Großbesetzungen wie Heureka Dezett oder JAMS Projekt in Leipzig oder Berlin. (Foto: Thomas Neumann)
1982: Die Leipziger Band Folkländer durfte als erste Folkband des Landes eine eigene Langspielplatte einspielen. Mit 47.000 verkauften Exemplaren ist es zugleich die erfolgreichste LP dieses Genres. Wegen der begrenzten Kapazitäten im Presswerk war die Produktion streng kontingentiert. Insgesamt erschienen bis 1990 bei AMIGA ganze 14 LPs mit Musik der DDR-Folkszene. (Grafik: Jürgen B. Wolff)
1983: Während der 4. DDR-Folklorewerkstatt in Leipzig unterhalten sich im Klubhaus „Freundschaft“ (heute sitzt dort ein Senat des Bundesgerichtshofs) Stefan Krawczyk von Liedehrlich aus Gera und der Leipziger Dichter Andreas Reimann. Einer seiner Texte, von Krawczyk vertont, findet sich auf der Liedehrlich-LP von 1983. Ein Jahr später beginnt Krawczyks Solokarriere als Liedermacher. (Foto: Stefan Gööck)
1983: Abschluss-Diplome für die Absolventen der Leipziger Volkstanzschule, der ersten und einzigen der DDR. In halbjährigen Kursen lernten je 15 bis 20 Tanzpaare, was alles zu Polka und Polonaise, zu Schottisch und Quadrille, zu Rheinländer und Mazurka gehört. Den Lehrplan hatte Sigrid Lembke (Römer) mit Dr. Kurt Petermann ausgearbeitet, dem Leiter des Tanzarchivs der Akademie der Künste. (Grafik: Gabi Lattke)
1986: Zu Himmelfahrt erlebte das internationale Leipziger Tanzhausfest seine Premiere. Organisiert hatte es der Folkklub, in dem 100 Musiker, Tänzer und Freunde von zehn Leipziger Folkbands mitarbeiteten, unter Leitung von Ulrich Doberenz. Das Festival war der jährliche Höhepunkt für die DDR-Folktanz-Szene. 1986 nahmen 16 Tanzgruppen teil, 1988 sogar 31. Stargäste waren Groupa aus Schweden sowie Oysterband und Blowzabella aus Großbritannien. (Foto: Stefan Gööck)
1990: Am 7. Mai wurde das Leipziger Label „Löwenzahn“ ins Handelsregister eingetragen, als eines der ersten Ost-Labels im letzten Jahr der DDR. Gegründet hatten es vier Folkmusiker, davon drei mit Folkländer-Erfahrung. Spezialstrecke bis heute: deutschsprachiges Lied, Folk und Weltmusik. Die erste Platte des Labels spielte das „brachialromantische“ Duo Sonnenschirm ein. Das sind Dieter Beckert aus Dresden und Jürgen B. Wolff aus Leipzig.
(Grafik: Jürgen B. Wolff)