Vor 40 Jahren: 1. DDR-Dudelsacktreffen in Slepo/Schleife | 18.06.24

JAMS beim Dudelsacktreffen in Schleife 1984, von links: Bernd Gesell (Bass), Andy Wieczorek und Jo Meyer (Dudelsack), Gabi Meyer (Konzertina); Foto: Alexander Neumann
JAMS beim Dudelsacktreffen in Schleife 1984, von links: Bernd Gesell, Kontrabass; Andy Wieczorek und Jo Meyer, Dudelsack; Gabi Meyer, Konzertina (Foto: Alexander Neumann)

VON WOLFGANG LEYN

Zum DDR-weiten Dudelsacktreffen mit internationalen Gästen sind im Juni 1984 nicht weniger als 100 Musiker, Instrumentenbauer und Musikethnologen in Slepo/Schleife zusammengekommen. Eingeladen hat das Haus der sorbischen Volkskunst in Bautzen gemeinsam mit dem Zentralhaus für Kulturarbeit in Leipzig. Beim Symposium geht es um sorbische und böhmische Dudelsäcke sowie um die Bemühungen in der DDR-Folkszene zur Wiederbelebung des ausgestorbenen deutschen Dudelsacks. Gruppen und Solisten aus der DDR, Polen, der ČSSR und Ungarn sind auf der Freilichtbühne zu erleben, bei Straßen- und Kneipenmusik, beim Festumzug.

Bilder vom Dudelsacktreffen 1984 in Slepo/Schleife

Tracht, Dialekt, Dudelsack

Die Gemeinde Slepo/Schleife liegt im zweisprachigen Gebiet am Rande der Muskauer Heide, dort, wo sich Ober- und Niederlausitz treffen. Wenige Kilometer südwestlich beginnt die Mondlandschaft des Braunkohletagebaus Nochten. Weshalb wurde gerade dieser Ort für das Dudelsacktreffen ausgewählt? Das Schleifer Kirchspiel mit seinen sieben Dörfern bildet eine eigenständige sorbische Trachtenregion, hier spricht man einen Übergangsdialekt zwischen dem Ober- und dem Niedersorbischen. Schleife hat also große Bedeutung für Sprache, Kultur und Brauchtum des westslawischen Volkes. Doch entscheidend für die Auswahl ist die Tatsache, dass es in und um Schleife seit über 400 Jahren eine lebendige Dudelsacktradition gibt.

Hanso Schuster-Šewc spielt seit den 1920er Jahren die Měchawa, den kleineren der beiden sorbischen Dudelsäcke. Das Instrument stammt aus Familienbesitz und wurde 1797 gebaut. Zusammen mit seinem Cousin Matej Wobuza, der die kleine sorbische Geige spielt, und weiteren Musikanten bildet er eine Kapelle, die bis Ende der 1950er Jahre aktiv ist. 1973 wird das Sorbische Folkloreensembles Schleife gegründet. Es besteht aus Musikanten, darunter natürlich ein Dudelsackspieler, einer Tanzgruppe und einem Frauenchor. Es gastiert u. a. in Polen, Ungarn, der Tschechoslowakei und der Sowjetunion und sich fühlt sich der Pflege des musikalischen Erbes der Lausitzer Sorben und speziell der Schleifer Region verpflichtet.

Individualisten mit unterschiedlichen Vorlieben

Ganz anders die buntscheckige Truppe von Dudelsack-Enthusiasten, die aus allen Ecken und Ende der DDR nach Schleife gekommen sind. Es ist eine Gemeinde von „Individualisten und Käuzen, Funktionären und Aussteigern, Arbeitern und Intellektuellen“, wie sie der Dudelsack-Experte und Szene-Kenner Ralf Gehler treffend beschreibt. Nicht wenige unter ihnen betrachten das Instrument sogar als Lebensmittelpunkt. Ihre Vorlieben sind dabei sehr unterschiedlich, die meisten orientieren sich jedoch eher an westeuropäischen Traditionen. Die tiefen Böcke Měchawa und Kózoł entsprechen nicht der musikalischen Vorstellung von Dudelsackmusik in der Folkszene, ebenso wenig wie die Bühnenfolklore der Sorben in Tracht.

Peter Schultze von der Berliner Folkband Skye, der sich selbst „Schottenschulle“ nennt, begeistert sich seit den 70ern für die Great Highland Pipes, Bernd Eichler, gelernter Maschinenschlosser, Jazz- und Folkmusiker, im Hauptberuf Philosoph an der Akademie der Wissenschaften in Berlin, spielt einerseits den böhmischen Bock und hat andererseits 1980 als erster ein spielfähiges Instrument nach dem Vorbild der altdeutschen Schäferpfeife zustande gebracht. Schon 1974 hatte er bei Jack & Genossen in Berlin Irish Folk auf einem rumänischen Dudelsack gespielt. 1978 musizierte dann Windbeutel mit Eichler und Schultze beim internationalen Dudelsackfestival im südböhmischen Strakonice. 1979 gründeten beide die Dudelsackbrüderschaft der DDR. Beim Erfahrungsaustausch 1983 in Leipzig wurden schon 30 Musikanten und Instrumentenbauer gezählt.

Instrumente aus dem westlichen Ausland gibt es in der DDR nicht zu kaufen. Also muss man auf solche aus Osteuropa ausweichen, aus Bulgarien zum Beispiel, wie es Dietmar Schultz, mit Spitznamen „Alphorn“, von Sanddorn aus Heiligendamm tut. Oder man muss sie selbst bauen. Zu den namhaftesten Dudelsackbauern im Land zählen Roman Streisand von Spilwut, der „Künstler unter den frühen Dudelsackmachern“ (Ralf Gehler) und Klaus Stecker, der bald viele DDR-Bands mit gut funktionierenden Instrumenten versorgt. Die „Stecker-Schalmei“ hat im doppelten Sinne einen guten Klang.

Blick über den Tellerrand

Dass sich 1984 die Sorben des neu erwachten Interesses für Dudelsäcke annehmen, hat Vorteile für beide Seiten. Als stark geförderte einzige ethnische Minderheit auf dem Gebiet der DDR verfügen sie mit dem Haus für sorbische Volkskunst in Bautzen über eine Institution, die Mittel und Möglichkeiten hat, ein Festival mit Werkstatt wie das in Schleife zu organisieren. 1988 wird es in Schleife erneut ein Dudelsacktreffen geben, dann auch mit offizieller Beteiligung aus Westeuropa durch Owe Ronström aus Schweden und Hubert Boone aus Belgien. Die Festivals der Dudelsackspieler im sorbischen Slepo/Schleife bringen alle Interessengruppen zusammen und weiten den Blick über den eigenen Tellerrand hinaus. Bindeglieder zwischen Folk und sorbischer Musik stellen die Gruppen Sprjewjan in Bautzen mit Tomasz Nawka und Steffen Kostorz sowie Judahej in Cottbus mit Gerhard Pauker am Kózoł dar, der auch Schäferpfeife spielt.

Bilder vom Dudelsacktreffen 1984 in Slepo/Schleife

Nachbemerkung: Seit 2010 findet aller vier Jahre in Schleife ein Internationales Dudelsackfestival unter dem Motto „Faszination Dudelsack im 21. Jahrhundert“ statt.
Mehr zum Festival auf der Website des CIOFF (International Council of Organizations of Folklore Festivals and Folk Arts)

Bernd Eichler, Gerhard Pauker und Klaus Stecker (von links) beim Dudelsacktreffen in Schleife 1984 (Foto: Alexander Neumann)

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