Lied-Empfehlung: Auf der Festung Königstein | 29.10.24

Bekannte Melodien mit einem neuen Text zu versehen, ist eine uralte Praxis. Die Minnesänger taten es, Martin Luther, später Hoffmann von Fallersleben, der Volksmund sowieso. „Auf der Festung Königstein“ zur Melodie eines studentischen Trinkliedes aus der Zeit um 1845 hat vor allem Kinder zu immer neuen Strophen angeregt, die dann mündlich weiterverbreitet wurden. So habe auch ich das Lied gelernt. Rainer Häslich aus Rudolstadt hat u. a. in Thüringen und in Brandenburg über 60 Strophen zusammengetragen und sie mir geschickt, rund 50 bekam ich von meiner Schwägerin aus Dresden (an beide vielen Dank!). Eine kleine Auswahl ist hier zu finden. Danke auch für die Illustrationen, Ergebnis des Zeichen-Workshops einer Familie in meiner Leipziger Nachbarschaft!

"Auf der Festung Königstein muss ja auch ein Bäcker sein. Der Bäcker schlägt die Fliegen tot und macht daraus Rosinenbrot." (gezeichnet von Frank)

VON WOLFGANG LEYN

Das Dresdner Duo Unfolkkommen sorgt dafür, dass das Lied "Auf der Festung Königstein" lebendig bleibt.

Wir kennen das Lied wie die meisten aus Kindertagen, wollten es unbedingt als Bonustrack auf unsere CD „Elbereise“ nehmen und dabei alle an der Aufnahme Beteiligten mitsingen lassen. Seitdem haben wir unsere Textfassung bei jedem Auftritt im Gepäck, verteilen diese ans Publikum und singen das Liedlein gemeinsam. Über die Jahre ist dabei viel Text unters Folk gekommen. Es stiftet die Menschen immer wieder zum Mitsingen an und hernach kommen die Leute meist auf uns zu, um „ihre“ Strophen vorzusingen.

Micha Schaufuß, Unfolkkommen

Rainer Häslich, der fleißige Strophensammler aus Rudolstadt, zu seinen Erfahrungen mit der "Festung Königstein":

Ich denke, auch ich hab das Lied von älteren Dorfkindern gelernt. Ich bin in der Nähe von Riesa aufgewachsen und kann sagen, dass bei uns im Dorf damals viel gesungen wurde: die Frauen beim Federnschleißen im Waschhaus oder beim abendlichen Klatsch unter der großen Linde und die Männer vorwiegend in der Kneipe …. Waren es anfangs nur solche Lieder wie „Am Brunnen vor dem Tore“ oder „Sah ein Knab ein Röslein stehn“, kamen irgendwann auch lustige (freche) Lieder. Und die „Festung Königstein“ war eines davon. Wir kannten etwa zehn Strophen auswendig. Eine Textvorlage in Papierform gab es nicht. Das Lied begleitet mich bis heute. Immer wieder mal summe ich die Melodie vor mich hin. Auch mit meiner sangesfreudigen Enkelin trällern wir es ab und zu.

NOTEN UND TEXT

Auf der Festung Königstein

HÖRBEISPIELE

Unfolkkommen Dresden: „Auf der Festung Königstein“ (CD, 2016)
https://youtu.be/9M2CxypkBU0

Rochus Roder, Gitarrenlehrer in Chemnitz: „Auf der Festung Königstein“ (2010)
https://www.youtube.com/watch?v=32v_2II6-Eg

Es gibt auch eine Textfassung mit beliebig einsetzbaren Städtenamen: „… ist 'ne schöne Stadt, die auch einen … hat“ (nicht zu verwechseln mit dem Fußball-Fangesang, der genauso anfängt). Die Strophen sind meist dieselben wie in dem Text über die sächsische Festung:

Brohli: Marburg ist 'ne schöne Stadt (2020)
https://www.youtube.com/watch?v=PZY5pXYlttA

Jürgen Fastje: Oldenburg ist 'ne schöne Stadt (2020)
https://www.youtube.com/watch?v=jdB2huz2tkQ

Markus Zemke: Frankfurt ist 'ne schöne Stadt (2024)
https://www.youtube.com/watch?v=to0zj4uKuT4

Des Wahnsinns fette Beute: Marburg ist 'ne schöne Stadt (2014)
https://www.youtube.com/watch?v=jq9DHyAP_bM

Oktoberfest-Hit: München ist 'ne schöne Stadt (instrumentale Blasmusikfassung, 2014)
https://www.youtube.com/watch?v=D_RgdGf7d_Y

Diverse Lied-Parodien:
Tölzer Knabenchor: Schön ist ein Zylinderhut (2008)
https://www.youtube.com/watch?v=ruIqnMTgvl8

Jochen Wiegandt, Lars-Luis Linek: Lustig ist die Reederei (2014)
https://www.youtube.com/watch?v=NzfgPlhLGjw

Französisches Pfadfinderlied „Au premier feu du soleil“ (1985)
https://www.youtube.com/watch?v=rup4bVZLSmw

LIEDGESCHICHTE

Franz Magnus Böhme: „Volkstümliche Lieder der Deutschen im 18. und 19. Jahrhundert“, Leipzig 1895

Beliebte Melodie mit verschiedensten Textunterlegungen

Die Melodie unseres Liedes stammt von „Studio auf einer Reis“, dem sogenannten „Urbummellied“. Komponiert hat es um 1845 der Breslauer Jurastudent Richard Schäfer (1823-1886), vielleicht nach älteren Vorlagen. Das studentische Trinklied ist offensichtlich sehr populär gewesen. Im Deutschen Volksliedarchiv in Freiburg im Breisgau sind 60 (!) Textunterlegungen dokumentiert. 1896 dichtete der Sozialdemokrat Max Kegel sein „Sozialisten auf der Reis“, in dem es nicht um Bier und hübsche Mädchen ging, sondern um Streik und den Acht-Stunden-Tag. „Pfäffelein auf einer Reis“, war 1906 ein kirchenkritisches Gedicht im satirischen Wochenblatt „Kladderdatsch“ überschrieben. „Lustig lebt die Feuerwehr, trachtet nicht nach Ruhm und Ehr“ erfuhr man um 1880. Spottlieder über Orte in Oberfranken, Westfalen und anderen Landschaften wurden auf die Melodie gedichtet. Vagabunden sangen ihr Wanderlied „Kunde willst du talfen gehen“, bei den Soldaten der kaiserlichen Armee hieß es „Bin ein lust‘ger Grenadier / Füsilier / Kanonier“.

Kurz nach der Jahrhundertwende widmeten Rennsteigwanderer dem Frühling ihr freudiges „Horrido, der Lenz erwacht“. Auch Pfadfinder in England, Frankreich und Spanien fanden Gefallen an der Melodie und unterlegten ihr eigene Texte. Etwa zur selben Zeit entstand das Sprichwörter-Lied „Gar zu gut ist liederlich, wen es juckt, der kratze sich“, ebenso ein Loblied auf den damals noch umstrittenen Fußballsport. Schon vor 1900 wurde das Nonsens-Lied „Schön ist ein Zylinderhut“ populär.

„Mädels macht die Fenster auf, Freie Turner zieh'n zu Hauf“ beginnt die selbstbewusste Turner-Hymne von 1913. Skurril wirkt „Wat forn Wedder! Kinners nee“ von 1915, ein plattdeutsches Loblied auf Generalfeldmarschall Hindenburg. „Heute ist der letzte Tag, heute wird Radau gemacht“ sangen in den 20er Jahren Kinder im Schullandheim als Eingangsstrophe zu selbstgereimten Stegreif-Versen (das habe ich später in den 60er Jahren selbst im Kinderferienlager gesungen). Überhaupt eignet sich die eingängige Melodie sehr gut für Gelegenheitsdichtungen, beim Polterabend, zum Familiengeburtstag oder beim Schützenfest. Als die Nazis nach 1933 Antifaschisten ins KZ verschleppten, wurde die bekannte Melodie dort von den Häftlingen für Lagerlieder benutzt, so 1936 in Sachsenhausen und 1938 in Esterwegen. Aus dem Jahr 1933 ist auch ein antisemitisches Hetzlied mit dieser Melodie überliefert.

Parodien, Versionen und Variationen von "Studio auf einer Reis" auf Michael Zachcials Website „Volksliederarchiv“: https://www.volksliederarchiv.de/liedergeschichten/studio-auf-einer-reis/

Spottlied auf Pfuscher und Betrüger

Das bis heute vorwiegend mündlich verbreitete Lied „Auf der Festung Königstein“ entstand vor rund 90 Jahren. Wohl erstmals veröffentlicht wurde der Text 1935 im Liederbuch „Allerlei lustiger Sing-Sang“, erschienen im Verlag Oskar Seifert & Söhne Leipzig, einem Spezialverlag für Volksmusik, Akkordeon- und Bandoneon-Literatur. Autor der elf Strophen ist Fred Fert alias Alfred Seifert, ein humoristischer Schriftsteller und vermutlich der Sohn und spätere Teilhaber des Verlegers Oskar Seifert.

Textlich knüpft Seifert an die Spottlieder auf Pfuscher in allen möglichen Ständen an. Diese Zweizeiler waren im 19. Jahrhundert weit verbreitet in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Noch deutlicher ist das Vorbild von „Droba uf dr rauha Alb“ zu erkennen, einem „Lompaliedle“ (Lumpenlied) aus Schwaben, das auch in Bayern bekannt ist und zur Melodie von „Studio auf einer Reis“ gesungen wird. Neben derb-erotischen Strophen enthält es Spottverse auf Vertreter verschiedener Berufe.
https://www.lumpenlieder.de/Auf_dr_Alb/auf_dr_alb.html http://www.dreyfuess.de/schwaben34.htm

Ost- und West-Version?

Auf der „Festung Königstein“ gehört zu jenen Liedern, die Kinder ohne Vermittlung durch Erwachsene von anderen Kindern lernen. So gut wie alle meiner ostdeutschen Gewährsleute kennen ein paar Strophen. Wie schon erwähnt, existiert auch eine Textfassung mit beliebig einsetzbaren Städtenamen – „… ist 'ne schöne Stadt, die auch einen … hat“. Die Strophen sind dieselben wie bei der "Festung Königstein". Gefunden habe ich bei meinen Internet-Recherchen Beispiele aus Aachen, Berlin, Duisburg, Essen, Frankfurt, Köln, Marburg, Münster, München, Weilheim, interessanterweise aber keine einzige Version mit ostdeutschen Städtenamen wie Chemnitz, Dresden, Erfurt, Leipzig, Plauen, Rostock oder Zwickau. Entweder ist hier die Königstein-Fassung zu präsent. Oder das Lied ist noch zu Zeiten der deutschen Zweistaatlichkeit in die Bundesrepublik importiert und dabei „umetikettiert“ worden. Wann und durch wen das passiert sein könnte, liegt im Dunkeln. Meine Nachfrage beim Zentrum für Populäre Kultur und Musik in Freiburg, ehemals Deutsches Volksliedarchiv, brachte hier keinen Aufschluss.

"Auf der Festung Königstein muss ja auch ein Friedhof sein. Der Friedhof hat ein Loch im Zaun, da sind die Toten abgehau'n." (gezeichnet von Ruth)

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