Rückblick aufs Rudolstadt-Festival | 09.07.24

Heidecksburg
Konzertpublikum im Schlosshof der Heidecksburg (Foto: Wolfgang Leyn)

VON WOLFGANG LEYN

War der 32. Jahrgang des größten deutschen Folkfestivals ein guter? Als Stammgast seit 1991 kann ich sagen: Ich habe noch keinen schlechten erlebt. In diesem Sinne war das Rudolstadt-Festival 2024 so wie ich es kenne und liebe: An großen und kleinen Spielstätten überall in der Stadt wurde ein hochkarätiges, ungemein vielfältiges Programm für Fans von Folk und Weltmusik geboten, auf dem Marktplatz, im Schlosshof, in Kirche, Theater und Bibliothek, auf Straßen und Höfen, im Park an der Saale, ganz nach dem Goethe-Motto „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen“.

Grimms Märchen, Wandervogel, Fußballhymnen

Länderschwerpunkt war in diesem Jahr Deutschland, weltoffen und mit vielen Fassetten, von Grimms Märchen beim Kinderfest (kräftig gegen den Strich gebürstet), über die Musik des Wandervogels bis hin zu Hiphop, queerer und postmigrantischer Musik. Deutschland als Gastgeber der Fußball-EM spielte eine Rolle im Songposium zum „Sound der Südkurve“. Im Mittelpunkt stand dabei die Geschichte der weltbekannten Fußballhymne "You'll Never Walk Alone".

You'll Never Walk Alone
"You'll Never Walk Alone", interpretiert von den Melodealern aus Rostock (Foto: Wolfgang Leyn)

Deutschfolk mit Orchester

Zu den Highlights im Länderschwerpunkt gehörte ohne Zweifel das Volksliedkonzert „Ein schöner Land“ der Band Deitsch gemeinsam mit den Thüringer Symphonikern am Freitagabend im Hof der Heidecksburg. Gudrun Walthers kraft- und temperamentvoller Gesang harmonierte wunderbar mit den abwechslungsreichen Arrangements und der Spielfreude des Orchesters. Wer es noch nicht wusste: Deutsche Volkslieder sind weder langweilig noch volksdümmlich.

Deitsch
Gudrun Walther und Jürgen Treyz von der Gruppe Deitsch und die Thüringer Symphoniker (Foto: Wolfgang Leyn)

Vielversprechender Nachwuchs

Ein zweiter Höhepunkt – mit hoffentlich langer Nachwirkung – war die Premiere des Jugendfolkorchesters am Sonnabend auf der Marktbühne. 40 Musikerinnen und Musiker aus ganz Deutschland zwischen 12 und 25 Jahren präsentierten mit Dudelsäcken, Geigen, Celli, Harfe, Gitarren, Akkordeons, Kontrabässen usw. mit großem Erfolg ein anspruchsvolles Programm, das sie zuvor eine Woche lang im Probenlager unter Leitung von vier Folkvirtuosinnen und -virtuosen einstudiert hatten. Unübersehbar war das Lampenfieber der Jugendlichen, aber auch ihr Stolz, bei Deutschlands größtem Folkfestival auftreten zu dürfen. Beides war übrigens am Sonntagabend im Park auch am anderen Ende des Altersspektrums zu beobachten – beim Hamburger Ü-70-Chor Heaven Can Wait.
Jugendfolkorchester – die Besetzung steht | 15.01.24

Jugendfolkorchester
Das Jugendfolkorchester musiziert auf der Marktbühne (Foto: Wolfgang Leyn)

Man hätte sich zerteilen mögen

2024 musizierten in Rudolstadt 120 Bands aus 30 Ländern von mehreren Kontinenten. Wie immer fiel die Entscheidung zwischen den zeitgleich stattfindenden Konzerten, Workshops und Vorträgen schwer. Da half nur „Mut zur Lücke“. Während ich in der Stadtkirche das magische Konzert der Jazz-, Folk- und Avantgarde-Künstlerin Iva Bittova aus Tschechien erlebte, lief auf dem Schlosshof ein Programm, das José Afonso gewidmet war, dessen Lied „Grândola, vila morena“ vor 50 Jahren die portugiesische Nelkenrevolution auslöste. Große Freude hatte ich im Theater beim Auftritt des charismatischen jungen Liedermachers David Lübke, verpasste dafür aber die Konzerte der syrischen Qanun-Virtuosin Maya Youssef und der Janusz Prusinowski Kompania aus Polen. Beides hatte ich mir im dicken Programmheft vorgemerkt. Während auf der Marktbühne die US-Bluegrass-Band Henhouse Prowlers brillierte, hätte ich auf der Burgterrasse das finnische Folk-Duo Lajunen/Grundström hören können. Gern wäre ich auch bei der Konferenz zum Länderschwerpunkt über "Transtraditionell-Deutsches" dabeigewesen...

David Lübke mit seinen Begleitmusikern Filip Sommer und Moritz Brümmer, von links (Foto: Wolfgang Leyn)

Festival als Gesamtkunstwerk

Ohne Frage steht beim Rudolstadt-Festival die Musik im Mittelpunkt, doch für viele Stammgäste ist es längst eine Art „Klassentreffen“ geworden. Und für Freunde möchte man sich Zeit nehmen, vielleicht bei einem kühlen Getränk oder einem exotischen Imbissgericht. Wie jedes Jahr verlockte außerdem unterschiedlichste, dabei meist hochkarätige Straßenmusik zum Verweilen. Wer wollte, konnte auch selber singen, u. a. bei der Session der DeutschFolk-Initiative im Garten des Schillermuseums. Es gab jede Menge Gelegenheiten, die diversen Varianten des Schottisch auszuprobieren, der diesmal „Tanz des Jahres“ war. Das Festival ist ein Gesamtkunstwerk.

Die DeutschFolk-Initiative des Bundesverbandes PROFOLK lud Zur Session in Schillers Garten, im Hintergrund der lauschende Dichter (Foto: Wolfgang Leyn)

Insgesamt 95.000 Besucher aus allen Bundesländern lauschten, applaudierten, sangen, tanzten während der dreieinhalb Festivaltage in der thüringischen Stadt an der Saale. Das Publikum war, wie man es kennt, aufmerksam, neugierig, begeisterungsfähig. Auf vielen Gesichtern sah man dieses „selige Rudolstadt-Lächeln“. Zuweilen wurde es ziemlich laut auf den Bühnen, doch Krawall, Suff, Schlägereien und Müllberge wie auf manch anderem Festival dieser Größenordnung gibt es hier nicht. Das liegt am Publikum und am eingespielten Team. Rund tausend Helfer sorgten für einen reibungslosen Ablauf. Bis auf die einstündige „Regenzeit“ (mit Unwetterwarnung) am Sonnabendnachmittag war das Wetter insgesamt festivalfreundlicher als 2023. Das nächste Rudolstadt-Festival findet vom 3. bis 6. Juli 2025 statt. Länderschwerpunkt ist dann Mali.

Tautumeitas
Tautumeitas mit Folkpop aus Lettland auf der Marktbühne (Foto: Wolfgang Leyn)

Das Rudolstadt-Festival 2024 nachhören

ARD-Mediathek

Shavnabada: Zehn stolze Männer mit Vokalpolyphonie aus Georgien
"Shavnabada" heißt der Chor aus Tiflis, benannt nach einem Kloster und einem Vulkan. Der Name passt bestens, denn der Gesang vereint beides: Kontemplation und Energie. Weltliche und geistliche Lieder vom Feinsten.
74 Min.

Odde/Holmen: Hypnotische Melodien aus Norwegen
Bjørn Kåre Odde und Sivert Holmen mit Bratsche, Hardanger Fiddle und der neu erbauten Hardanger d’amore. Man kann sich schon verlieren in diesen feinen melodischen Verästelungen, die einen hypnotischen Sog entfalten.
49 Min.

Wispernde Geigenklänge und mährische Stimmkunst - Iva Bittová
Die Geigerin und Stimmkünstlerin Iva Bittová überrascht mit vielen Facetten zwischen Folk und Avantgarde und öffnet neue Klangräume. Sie arbeitet mit slowakischer und mährischer Volkspoesie und passt in keine Schublade.
58 Min.

Neue Lieder für neue Zeiten: David Lübke Trio
David Lübke ist ein moderner Troubadour, ein Liedermacher, der es wie kaum ein anderer schafft, ehrliche Texte mit eingängigen Melodien zu verbinden. Sein Konzert im Trio war eines der Highlights in Rudolstadt 2024.
59 Min.

Von gelöster Freude bis zu andächtiger Stille: Leléka
Viktoria Leléka und ihre Mitmusiker kleiden auf inspirierende und berührende Weise ukrainische Volkslieder in ein kammerjazziges Gewand. Ihre engelhafte Stimme und das feine Spiel des Quartetts gingen unter die Haut.
82 Min.

Die Neuerfindung der Ukulele in Zeiten der Anarchie: Ukulele Death Squad
Die acht Musikerinnen und Musiker machen aus dem Leisetreter-Instrument Ukulele ein Mordwerkzeug und versprühen mit Witz und Punk-Appeal eine regelrecht ansteckende Energie. Eine DER Entdeckungen in Rudolstadt 2024.
56 Min.

Preisgekrönte Irin kämpft mit den Waffen des Folk: Emma Langford
Sie gilt als Gallionsfigur einer neuen Irish-Folk-Bewegung. Die Musik der irischen Singer-Songwriterin Emma Langford aus Limerick ist pure Magie. Auf ihren Songs verbindet sie klassischen Folk mit modernen Melodien.
86 Min.

https://www.ardaudiothek.de/sendung/konzert-highlights-die-welt-zu-gast-in-rudolstadt/10640813/

Festival-Sonderstudio von MDR KULTUR im Eckladen an der Freiligrathstraße (Foto: Wolfgang Leyn)

MDR KULTUR

Studiosessions und Gespräche u. a. mit folgenden Künstlern:

  • Liedermacher Bastian Bandt und Nyckelharpa-Trio Passerelle, beide aus Deutschland
  • Emma Langford, Folk-Singer-Songwriterin aus Irland
  • Cerys Hafana, Triple-Harp-Virtuosin aus Wales
  • Ryan Young, preisgekrönter Folk-Geiger aus Schottland
  • Nachwuchsband Folk My Life, spielt traditionelle Tanzmusik aus Schweden und Deutschland
  • Folk-Rocker Vlado Kreslin aus Slowenien
  • Ukulele Death Squad, Anarcho-Punk aus Australien
  • Jamila, gebürtige Berlinerin, spielt mit The Other Heroes postmigrantischen Folk-Funk

https://www.mdr.de/kultur/podcast/folk-und-welt/folk-welt-podcast-100.html

Die Festivalkonzerte in der Stadtkirche schneidet jedes Jahr der Bayerische Rundfunk mit (Foto: Wolfgang Leyn)

BR-KLASSIK

Konzertmitschnitte:

  • Donnerstag, 11. Juli 2024, 20:05–22:00 Uhr
    Konzertabend „Best of Rudolstadt-Festival 2024“
  • Samstag, 21. September 2024, 19:05–20:00 Uhr
    Musik der Welt: Rudolstadt-Festival-Nachlese 2024 - Standort Stadtkirche I
  • Sonntag, 22. September 2024, 23:05 Uhr
    Musik der Welt: Rudolstadt-Festival-Nachlese 2024 - Standort Stadtkirche II
  • Samstag, 16. November 2024, 19:05–20:00 Uhr
    Musik der Welt: Rudolstadt-Festival-Nachlese 2024 - Standort Stadtkirche I
  • Sonntag, 17. November 2024, 23:05 Uhr
    Musik der Welt: Rudolstadt-Festival-Nachlese 2024 - Standort Stadtkirche II
Unfolkkommen
Straßenmusik mit Unfolkkommen aus Dresden (Foto: Wolfgang Leyn)