Das „rollende Folkfestival“ im Sommer 1984 mit zwei Pferdefuhrwerken über die Dörfer des Kreises Rudolstadt erwies sich später als eine Keimzelle von Deutschlands größtem Folk-, Roots- und Weltmusikfestival. Folkmusiker aus Erfurt und Leipzig, die dabei waren, erinnern sich gern an „eine Woche Party“. An die Tradition knüpften ab 1987 Bands aus Jena an. Bis heute geht Feuertanz aus Ilmenau im Sommer auf Planwagentour.
Im Juli 1984 tingelten zehn Musiker von Brummtopf und Saitensprung aus Erfurt sowie Lumich und Folkländer aus Leipzig auf zwei Pferdewagen über die Dörfer im ostthüringischen Bezirk Gera. Mit von der Partie waren ein chilenischer Sänger aus Jena und zwei Zauberer, außerdem mehrere Kunsthandwerker, die u. a. Buttermodeln und Schmuck anboten. Sechs Tage lang waren sie unterwegs. Spontane Ständchen wechselten sich ab mit vorher verabredeten Auftritten. Beim Dorffest, im Jugendklub, bei der bäuerlichen Handelsgenossenschaft, im Kinderferienlager, bei Soldaten der Nationalen Volksarmee oder vor Sonntagsausflüglern an Goethes Liebhabertheater beim Schloss Großkochberg. Mal hatte man zur Begrüßung der Musikanten das Dorf geschmückt, mal stand der Bürgermeister persönlich am Grill, um sie zu beköstigen. Gesungen und getanzt wurde im Wirtshaussaal, unter der Dorflinde und am Lagerfeuer, gezeltet auf einer Wiese. Das Bier floss in Strömen. Die Abende waren meist lang, die Nächte kurz.
Spaß am gemeinsamen Musizieren
Die bunt zusammengewürfelte Truppe von Folkmusikanten verschiedener Bands genoss die „einwöchige Party“ in ländlicher Idylle. Die meisten kamen ja aus der Stadt. Wolfgang Mahrle von Saitensprung aus Erfurt fuhr drei- oder viermal mit. Für ihn hatte die Rudolstädter Folkloretour in einer Zeit des allmählichen Auseinanderdriftens der Szene außerdem „eine Klammerfunktion“.
Uns Musikern hat es eigentlich am meisten Spaß gemacht, mit den Kollegen zusammen zu spielen, die man sonst nur noch selten traf. Jeder konnte dort seine Lieder einbringen und hat dann seinerseits das Repertoire der anderen mitbedient. Und man musste ein gescheites Programm machen, wenn man einen richtigen Auftritt hatte. Immer dabei waren Handwerksgesellenlieder wie ‚Auf, du junger Wandersmann‘, ‚Lustig, lustig, ihr lieben Brüder‘ oder ‚Es, es und es‘. Ansonsten hat man eben die Dinge gespielt, die einem gerade in den Sinn kamen, das waren dann nicht nur Volkslieder, sondern auch ‚Rote Lippen soll man küssen‘ oder ‚Marmor, Stein und Eisen bricht‘. Das war bunt gemixt, je nach Tagesform und Laune, das Repertoire war ja damals unerschöpflich.
Wolfgang Mahrle
Rollendes Folk-Festival wird Tradition
An 20 Orten erlebten 1984 mehr als 2.000 Besucher Folklore zum Anfassen, Mitmachen und Nachmachen. Ein Jahr zuvor hatte es schon eine kleinere Folkloretour mit nur einem Pferdewagen gegeben. Organisiert wurde das Ganze durch Reinhard Sattler vom Kreiskabinett für Kulturarbeit Rudolstadt, unterstützt von Jens Daniel, damals tätig an der Bezirkskulturakademie Gera mit Sitz in Rudolstadt. 1985 ging man erneut auf Tour rings um Rudolstadt, 1986 ebenfalls, dann u. a. mit der Hallenser Folktanzgruppe Gehupft wie gesprungen und einem Puppenspieler. 1987 beteiligte sich u. a. die Jenaer Folkband Schillebold. Dass das Konzept auch zwei Nummern kleiner funktioniert, nämlich mit einem Handwagen statt Pferdefuhrwerk, bewies Saitenwind, ebenfalls aus Jena. Die Ilmenauer Folkband Feuertanz geht nach wie vor im Sommer auf Planwagentour. Feuertanz 2023 unterwegs mit 4 PS
Keimzelle des Rudolstadt-Festivals
Die Rudolstädter Folkloretour gehört, ebenso wie die Nische für den Mitmachtanz ab 1983 beim DDR-Tanzfest, zu den Keimzellen des Tanz- und Folkfestes, das 1991 aus der Taufe gehoben wurde (seit 2016 Rudolstadt-Festival). Chefgestalter Jürgen B. Wolff und Kinderfest-Organisator Jens Daniel waren im Juli 1984 dabei. Und musiziert wurde schon damals nicht allein in den Dörfern rund um Rudolstadt, sondern auch an zwei mittlerweile deutschlandweit bekannten Festival-Spielorten: auf dem Schlosshof der Heidecksburg und an den Thüringer Bauernhäusern im Heinepark.
Folk in Thüringen – früher und heute